Saturday, July 06, 2013

Hedda Gabler



Der Saal war seit wenigen Minuten dunkel, die Sitze neben und hinter mir leer. Mein Blick glitt über die Zuschauer auf dem Parkett, über die Zuschauer auf der anderen Seite des Balkons. Und über eine ältere Frau in meiner Reihe, die in ihrem gestreiften Pullover bereits tief und fest eingeschlafen war. Ein amüsiertes Grinsen zog sich über mein Gesicht, wenngleich das Stück eine solche Reaktion nicht verdient hatte.
Ein Mann fiel mir plötzlich auf, der mein Vergnügen darüber zu bemerken schien. Er saß hinter der Schlafenden, unsere Blicke trafen sich unumwunden. Als wäre ich bei etwas Verbotenem erwischt worden drehte ich mich schnell wieder zur Bühne.
Dennoch war mir, als hätte ich einen Blick im Nacken. Einen Beobachter.
Es war, als Candide auf die Bühne kam, nicht als naiver Tölpel, der versucht, in seiner Trommel zu verschwinden, sondern als geläuterter Wissenschaftler, einst von Hedda abgewiesen und beinahe über den Haufen geballert, dass ich mich doch umdrehen musste, um meinen paranoiden Verdacht zu bestätigen. Oder zu widerlegen.
Er sah mich an. Intensiv. Seine Mundwinkel zogen sich leicht nach oben. Ich runzelte die Stirn und drehte mich abermals zurück zur Bühne.
Er sah nicht an mir vorbei. Und es waren auch nicht die Akteure auf der Bühne, die ihm ein Lächeln abrangen. Er sah mich an.
Den Rest der Vorstellung zwang ich mich, mich nicht umzudrehen. Ich konzentrierte mich ganz auf die verzweifelte, kraftlose Frau auf der Bühne und ihr böse kalkulierendes Spiel. Musste an ein anderes Stück denken, in dem sie ebenfalls ein kalkuliertes Spiel betrieb. Nur mit besserem Ende.
Der Saal wurde heller und das Ensemble mit viel Applaus und Zurufen gefeiert. Jetzt musste ich mich umdrehen.
Und wieder trafen sich unsere Blicke. Ich erschrak und wandte mich ab. Was denkt der sich eigentlich?
Ich ließ mir Zeit, meinen Platz zu verlassen, um nicht an ihm vorbei gehen zu müssen.
Ich steuerte auf die Garderobe zu. Am Treppenabgang stand er, tippte etwas in sein Handy.
Ohne ihm weiter Beachtung zu schenken, packte ich mich in meinen Mantel. Aber ich musste an ihm vorbei, um über die schmale Treppe nach unten und ins Freie zu gelangen.
„Du bist alleine hier…?“ sprach er mich an, als ich ihn passierte. Ich warf ihm einen bösen Blick, aber das schien wiederum ihn zu amüsieren.
„Der Abend ist noch jung. Begleitest du mich auf ein Glas Wein?“
„Ich kenne Sie überhaupt nicht.“
„Aber ich dich.“
Wie selbstverständlich ergriff seine feingliedrige Hand meine, seine Finger schoben sich zwischen meine. Eine Spannung lag in der Luft, als er sanft meine Hand drückte.
Er ging voran, ich folgte ihm. Hin- und hergerissen zwischen Angst und Neugier.

1 comment:

Sonderbar said...

Wie ging es denn weiter?